Skip to main content

Hinweise 2022

Sonderausgabe der Zeitschrift „New German Critique“

Aus Anlass des Erscheinens der englischen Übersetzung des zweiten Bandes von Peter Weiss‘ Die Ästhetik des Widerstands bei Duke University Press haben Kai Evers, Julia Hell und Seth Howes im November 2022 eine Sonderausgabe der Zeitschrift „New German Critique“ herausgegeben, die neue, an aktuellen Fragestellungen orientierte Lesarten des Romans bietet.

Nähere Informationen

---

Gunilla Palmstierna-Weiss ist tot

Die Internationale Peter Weiss-Gesellschaft trauert um Gunilla Palmstierna-Weiss. Wie die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter berichtet, ist die schwedische Bühnenbildnerin, Kostümgestalterin und Keramikerin Gunilla Palmstierna-Weiss verstorben. Sie war 94 Jahre alt. Gunilla Palmstierna-Weiss‘ Karriere als Bühnenbildnerin und Kostümdesignerin begann mit der legendären Premiere von Peter Weiss‘ „Marat/Sade“ am Schillertheater Berlin 1964. Von 1964 bis zu seinem Tod 1982 war sie mit dem deutsch-schwedischen Autor, Maler und Filmemacher Peter Weiss verheiratet. Sie trat in Weiss‘ Filmen auf und gestaltete Bühnen und Kostüme für seine Dramen. 

Zwischen 1966 und 1991 arbeitete sie in insgesamt 19 Produktionen mit Ingmar Bergman zusammen. Neben ihrer Arbeit am Theater war Gunilla Palmstierna-Weiss eine bekannte Keramikerin und Künstlerin, die mehrere Einzelausstellungen und Werke im Stockholmer Museum für darstellende Künste und im Schwedischen Nationalmuseum hatte. Im Jahr 2013 veröffentlichte sie ihre Autobiographie „Minnets Spelplats“, in der sie von ihrem Aufwachsen im Zentrum der europäischen Kulturgeschichte und inmitten des Zweiten Weltkriegs erzählt.

Für eine deutsche Ausgabe hat sie ihre Memoiren gemeinsam mit der Übersetzerin Jana Hallberg überarbeitet. Anlässlich der Veröffentlichung hat sie den Band vor neun Wochen noch im Rahmen des internationalen literaturfestivals berlin im Haus der Berliner Festspiele vorstellen können, anschließend auch im Literaturhaus Leipzig (Eine europäische Frau. Erinnerungen. Berlin: Verbrecher 2022). „Eine stärkere Person als Mutter ist schwer zu finden. Alles, was sie erlebt hat, Glück, Leid, Liebe, Krieg und die seltsamsten Abenteuer“, schreibt ihre Tochter Nadja Weiss auf facebook.

Nachrufe und Würdigungen

Foto: Klaus Wannemacher

---

Vortrag Stefan Howalds zu Peter Weiss‘ Malerei, Filmen und literarischen Werken

Der Journalist und Autor Stefan Howald stellt Peter Weiss‘ Malerei, Filme und literarische Werke in einem ausführlichen Vortrag vom Herbst 2022 auf vimeo vor:

“Die Ästhetik des Widerstands” ist sprichwörtlich geworden, und der Monumentalroman bleibt ein Schlüsselwerk für das 20. Jahrhundert, mit aktuellen Bezügen. Aber Leben und Werk von Peter Weiss (1916-1982) haben weit mehr zu bieten. Der folgende Vortrag stellt ihn als Maler und Filmer dar, setzt sich mit seinen früheren Prosaarbeiten und den Theaterstücken auseinander, dann aber auch mit der “Ästhetik des Widerstands”. Das ist reich illustriert mit über zweihundert Bildern und einem Dutzend Videoclips. Schwarzweiss und bunt. Der erste Teil des Vortrags über Peter Weiss und seine Malerei und Filme sowie die literarischen Werke bis 1970 dauert rund 48 Minuten. Bei 48.30 Minuten folgt ein kurzes Musikstück, der zweite Teil vor allem über die “Ästhetik des Widerstands” beginnt bei 53 Minuten und dauert knapp 40 Minuten.

Vortrag „Peter Weiss 1916-1982“ auf vimeo

---

„Ich ergreife Partei / für alles was Leben macht“

Realismus revisited. Zum 100. Geburtstag von Heinar Kipphardt. Eine interdisziplinäre Tagung

Für den Dramatiker, Lyriker und Erzähler Heinar Kipphardt war der Realismus eine zentrale Kategorie: vom Einfluss biografischer Erlebnisse, der Auseinandersetzung mit sozialistischem Realismus, Surrealismus und Psychiatrie bis hin zu seinen Dokumentartheaterstücken. Anlässlich seines 100. Geburtstags greift die interdisziplinäre Tagung aktuelle Realismus-Debatten in der deutschsprachigen Literatur und im Theaterkontext auf. Für die Tagung, die zwischen 14. und 16. Oktober 2022 an der Münchner Volkshochschule, Einsteinstr. 28, 81675 München stattfindet, ist eine Anmeldung erforderlich. Konzipiert und organisiert haben die Tagung Prof. Dr. Sven Hanuschek und Dr. Laura Schütz.

Im Rahmen der Veranstaltung werden IPWG-Mitglied Dr. Ingo Breuer am 15. Oktober 2022, 16.30 Uhr über Schwester Zschäpe? Die „Lücke“ des Realismus in Nuran David Calis' dokumentarischem NSU-Projekt, IPWG-Mitglied Xuan Sun am 16. Oktober 2022, 9.30 Uhr über Das Dokumentartheater und den neuen Realismus und IPWG-Mitglied Dr. Klaus Wannemacher anschließend um 10.15 Uhr unter dem Titel Das produktive Misstrauen in die Möglichkeiten der Kunst über Modelle der theatralen Repräsentation von Wirklichkeit bei Peter Weiss und Heinar Kipphardt sprechen. 

Nähere Informationen und Anmeldung

Beitrag auf Bayern 2, 13. Oktober .2022

---

Peter Weiss-Retrospektive in Bologna

Bei der 36. Ausgabe des „Il Cinema Ritrovato“-Filmfestivals (dt.: „Das wiederentdeckte Kino“; Bologna, 25. Juni bis 3. Juli 2022), dem weltweit bedeutendsten Festival für Filmrestaurierung, wurde eine Retrospektive digital restaurierter Peter Weiss-Filme dargeboten. Neben Weiss‘ experimentellen Kurzfilmen Studie I – Uppvaknandet (1952), Studie II – Hallucinationer (1952), Studie III (1953), Ansikten i skugga (1956), Ingenting ovanligt (1957), Studie IV – Frigörelse (1955), Studie V – Växelspel (1955), Ateljéinteriör (The Studio of Dr Faust, 1956) sowie Enligt lag (1958), die das Svenska Filminstitutet bereitstellte, nahm Kurator Jon Wengström auch den abendfüllenden Film Hägringen in das Programm auf. 

Wengström zufolge stellen Weiss‘ experimentelle Kurzfilme den „menschlichen Körper und sein Befinden mit reicher visueller Poesie dar, während seine ausgezeichneten Dokumentarfilme ein großartiges Zeugnis von Weiss‘ Liebe zum Detail und seiner Fähigkeit sind, selbst unter den schwierigsten Umständen menschliche Würde zu finden.“

Nähere Informationen

---

Erasmus Schöfer †

Die Internationale Peter Weiss-Gesellschaft nimmt traurig die Nachricht vom Ableben ihres Mitglieds Erasmus Schöfer (4. Juni 1931—7. Juni 2022) zur Kenntnis.

Schöfer machte sich 1969 als Mitgründer des «Werkkreises Literatur und Arbeitswelt» einen Namen. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die in der Nachfolge von Peter Weiss' «Ästhetik des Widerstands» konzipierte Roman-Tetralogie «Die Kinder des Sisyfos» (Bd. 1: «Ein Frühling irrer Hoffnung», 2001; Bd. 2: «Zwielicht», 2004; Bd. 3: «Sonnenflucht», 2005; Bd. 4: «Winterdämmerung», 2008), mit der Schöfer den linken Bewegungen 1968—1989 in der alten Bundesrepublik Deutschland ein Denkmal setzen wollte. Ausführlich wurde die Tetralogie im «Peter Weiss Jahrbuch für Literatur, Kunst und Politik im 20. und 21. Jahrhundert» (Bd. 14, 2005, S. 157—182: über die Bände 1 und 2; Bd. 15, 2006, S. 153—170: über Band 3; Bd. 18, 2009, S. 35—61: über Band 4) gewürdigt.

---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- 

Werner Jung: Zeitabschnitte aus der Zeit selbst heraus sichtbar machen – ein Nachruf auf Erasmus Schöfer


 Als Erasmus Schöfer im letzten Jahr seinen 90. Geburtstag feierte, begann ich meinen damals im „neuen deutschland“ erschienenen Artikel folgendermaßen:

„Dieser Autor kann auch noch etwas ganz anderes! – Immer wieder nämlich hat Erasmus Schöfer, was kaum jemand weiß, Lyrik verfasst, eine Art Gelegenheitsdichtung, zugleich aber auch so etwas, das man mit guten Gründen oftmals als Gedankenlyrik bezeichnen kann. Nun hat die literarische Gesellschaft der „Kinder des Sisyfos“ eine wunderbare Auswahl von Liebesgedichten herausgegeben, die im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind und die die sinnlich-lustvolle Seite des Schriftstellers betont: „Aus dem See/ in dem wir nächtlich/ schwammen/ ziehen wir uns an den Tag/ das Ufer ist noch steil/ Rosen bleiben/ auf der unbewegten Schale/ Wasser glänzt an dir/ du strahlst nach innen/ blendest mich.“ – Wie gesagt: es handelte sich 2021 um einen Schriftsteller, der seinen 90. Geburtstag feierte – übrigens in einem kleinen Kölner Park in der Südstadt direkt gegenüber seiner Wohnung auf der Trajanstraße, wo sich an einem heißen Sommerabend viele Freunde und Genossen, einige Autoren- und KünstlerkollegINNen versammelt hatten.

Nun ist Erasmus Schöfer tot, gestorben drei Tage nach seinem 91. Geburtstag am 7. Juni 2022.

Erasmus hat noch stets Literatur in der Bewegung und zugleich in Bewegung verfasst. Ich habe ihn kennengelernt irgendwann in den frühen 90er Jahren bei einer Veranstaltung der literarischen Gesellschaft, der Stadtbibliothek – ich weiß es nicht mehr genau -, als der Kritiker Heinrich Vormweg mit einer mit mir befreundeten Kollegin ein Podiumsgespräch über die Bedeutung Rolf Dieter Brinkmanns durchführte. Erasmus saß im Publikum und war einer der ersten, der sich vehement und streitbar in die Diskussion brachte. Er kam mir damals ein wenig ruppig und wohl auch rechthaberisch vor, weshalb ich ihn und auch die Veranstaltung rasch vergaß, bis er mir wenige Jahre später bei Dieter Wellershoffs 75. Geburtstag wiederbegegnete, wir uns lange und angeregt unterhielten, dabei oft gänzlich unterschiedlicher Meinung waren aber seither in Kontakt geblieben und seit dem Erscheinen seines ersten Bandes, „Ein Frühling irrer Hoffnung“ (2001), der Tetralogie „Die Kinder des Sisyfos“ (2001-2008) – ja, das darf man wohl sagen – miteinander befreundet waren. Erinnerungen, die jetzt aufblitzen, dann mäandernd weiterziehen: verschiedene gemeinsame Veranstaltungen an mehreren Hochschulen, Lesungen und Diskussionen, die wir – u. a. im Kölner Literaturhaus, in der Essener Stadtbibliothek, in Dortmund, wohin sein Vorlass – auch auf mein Anraten und meine Kontakte zum Hüser-Institut – schon zu Beginn der 2000er Jahre gegangen ist, aber auch etliche Besuche auf der Trajan-Straße, dann, nachdem ich von Duisburg in das Hunsrück-Dorf Langweiler gezogen bin, seine Besuche, Spaziergänge und Wanderungen. Immer ging es dabei um Literatur, Kunst und Politik. Um deren Verhältnisbestimmung, um die Vermittlung – nicht im Sinne eines Verständnisses, dass Kunst und Literatur als „Auferstehungsengel der Geschichte“ (Friedrich Hebbel) zu deuten seien, also als Auftrag (von wem und wozu auch immer), sondern als Eingriff, Intervention und Medium kritischer, gesellschaftlich-politischer Selbstreflexion. Mit dem Ziel – das mag man teleologisch durchaus so sehen -, eine andere, bessere, solidarischere Gesellschaft diesseits des ubiquitären Kapitalismus, neuerdings eines „Überwachungskapitalismus“ (Shoshanna Zuboff), über den wir zuletzt noch lange Gespräche geführt haben, anzuvisieren.

Erasmus‘ auf sechs Jahrzehnte zurückblickendes literarisches Oeuvre war stets engagiert, parteilich und kritisch – realistisch vom Verfahren her allemal. Ältere Traditionen der Arbeiterbewegung wie des ‚Bunds proletarisch-revolutionärer Schriftsteller‘ (BPRS) aus den 20er und frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts schreiben sich in seine Texte dabei ebenso ein wie ein Literaturverständnis, das sich oszillierend zwischen Lukács und Brecht, mit Pendelausschlägen bei Peter Weiss bewegt. Auf den Punkt gebracht, klingt es folgendermaßen: „Der realistische Schriftsteller versucht, Typisches im Individuellen zu treffen.“ O-Ton Schöfer.

In Schöfers Produktion, die – und das erklärt auch die zwischen den 60er und 90er Jahren geringe öffentliche, feuilletonistische Resonanz und Präsenz diesseits aller politischen Vorbehalte – immer wieder abgebrochen und unterbrochen worden ist von längeren Zeiten politischen Wirkens im Umfeld seiner Partei, der DKP, in der Gewerkschaft wie auch dem Schriftstellerverband, dem VS, schließlich dem ‚Werkkreis Literatur der Arbeitswelt‘, den Schöfer 1969 mitbegründet hat, lassen sich in etwa drei Phasen unterscheiden: frühe Texte bis in die Zeit der Werkkreis-Jahre, in denen aber schon die zentralen Themen und Gegenstände Schöfers anklingen, eine mittlere Phase, die während der späten 70er und 80er Jahre dann die Krise und Stagnation der linken Bewegungen in der alten BRD bearbeitet, und eine späte Phase, in der der Romancier in einem groß angelegten Romanprojekt, der Tetralogie „Die Kinder des Sisyfos“ (2001-2008), eine Bilanz bundesdeutscher Geschichte von 1968 bis zur Wende von 1989 (und darüber hinaus) zieht.

Seit den späten 90er Jahren hat Erasmus Schöfer an diesem Epos, das er – mit guten Gründen – einen Zeitroman genannt hat, gearbeitet. Und damit ist ihm auch endlich die breitere literarische Anerkennung zuteil geworden, was nicht nur die deutlich zugenommene Resonanz im Feuilleton und literarische Preise, sondern auch die Gründung einer eigenen literarischen Gesellschaft, „Kinder des Sisyfos“, und schließlich sogar Symposien über sein Schaffen belegen. Im Gespräch mit Jürgen Lodemann hat Schöfer einmal seine Intention bei der Abfassung seiner Tetralogie so beschrieben: „Meine Absicht ist es, diese Zeitabschnitte aus der Zeit selbst heraus verständlich zu machen.“ Es handle sich dabei „um ein Epos über die Aktionen von Menschen, die in diesem Land an wirksamer Demokratie interessiert waren, interessiert an Gerechtigkeit, auch an Sozialismus.“

In der Schriftenreihe des Fitz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt in Dortmund sind zudem insgesamt drei Bände erschienen, die noch andere Facetten des Kölner Schriftstellers zeigen: ein Band mit Feuilleton-Texten aus 45 Jahren (2011), auf den dann eine Auswahledition von Hörspielen gefolgt ist (2013), die den Autoren als kritischen Zeitchronisten zeigen, schließlich noch ein opulenter Band mit Texten – Essays, Aufsätzen, Vorträgen und Briefdokumenten –, die Schöfers intensive Bemühungen um den ‚Werkkreis Literatur der Arbeitswelt’ dokumentieren, den er als Mitbegründer und maßgeblicher konzeptiver Ideologe von 1968 bis 1984 mitgestaltet und danach auch weiterhin kritisch begleitet hat.

Ich ordne meine Unterlagen, Aufzeichnungen, Exzerpte und Kopien zu Erasmus und finde zahlreiche Briefe und Karten, die er mir in rund zwanzig Jahren geschrieben hat – und ich ärgere mich maßlos, dass ich unbedachterweise zig emails von ihm (auch von mir an ihn) gelöscht habe. Ein langer, mehrseitiger Brief ist darunter, datiert auf den 12. Januar 2020, in dem er sich bedankt für die Übersendung eines Exemplars der von mir mit drei KollegINNen geschriebenen Geschichte der Ruhrgebietsliteratur, „Ruhrgebietsliteratur seit 1960. Eine Geschichte nach Knotenpunkten“ (2019). Darin heißt es u. a.: „es war eine riesige Freude, als ich vorige Woche euer Ruhrgebietsbuch erhielt und den Werkkreis-Knoten darin aufgeknippert hatte! Dies in erster Linie persönliches Entzücken bestand in der Erkenntnis, dass hier zum ersten Mal so umfassend meine intellektuelle und politisch-literarische Arbeit im Werkkreis verdeutlicht wurde. – Es war wohl in den frühen siebziger Jahren mein politisch-idealistisches Verständnis des Prinzips kollektiver Literaturarbeit, dass ich meinen anregenden und organisatorischen Arbeitsaufwand beim Entstehen und Funktionieren beim Werkkreis möglichst unter der Decke gehalten habe. Erst später wurde mir klar, dass dieses Verhalten unter den fortbestehenden kapitalistischen Verhältnissen zu einer wachsenden Isolation in der Zunft führen musste und natürlich auch meine Dequalifikation als Schriftsteller bewirkte. Übrigens nicht nur in der Einschätzung der in meinem literarischen Beruf Tätigen, sondern auch in der tatsächlich ungenügenden Weiterbildung meines Wissensfundus.“

Dennoch! An der grundsätzlichen Auffassung Schöfers, wonach sich in diesen Zeiten die AutorINNen und KünsterINNen sinnvollerweise organisieren müssten, um gemeinsam am – da spielt Bloch mächtig hinein – Hoffnungsziel einer aus den Fängen des Kapitalismus befreiten Menschheit zu wirken, hat sich bis zuletzt nichts geändert. Auf einer von Ingar Solty und Enno Stahl organisierten Tagung 2015 im Berliner Literaturforum Brechthaus, die sich unter dem Titel „Richtige Literatur im Falschen? Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik“ Gedanken über eine zeitgemäße engagierte Literatur und Formen des Realismus gemacht hat, hat Erasmus Schöfer einen kleinen Vortrag gehalten, in dem er unter Rückgriff auf Erik Reger ein Bekenntnis zum Engagement und gegen die Idee einer Zweckfreiheit der Kunst ablegt. Dies gelinge am besten noch in einem Zusammenschluss, einer, wie er sich ausdrückt „lockeren, nicht parteiorientierten (internationalen?) Gruppierung“, deren „programmatische Orientierung“ sein müsse, „ohne Ansehen der individuell verschiedenen Vorstellungen über Wege und Mittel, eine Gesellschaftsordnung zu erstreben, die es ermöglicht, neutral gesagt, das Glücksverlangen der Einzelnen mit dem Wohlergehen der Gesellschaft zu harmonisieren.“

 ---

Die Widerständigkeit der Erinnerung. Aus dem Werk von Peter Weiss

Die IPWG zu Gast bei dem 22. internationalen literaturfestival berlin (ilb), Sektion Erinnerung, sprich

Freitag, 16. September 2022, 19.30 Uhr, Ort: Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, 10719 Berlin

Peter Weiss (1916-1982) war einer der profiliertesten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Ein wichtiges Thema in seinem Oeuvre ist die persönliche und gesellschaftliche Erinnerung. Es werden Auszüge aus seinen Romanen «Der Schatten des Körpers des Kutschers», «Fluchtpunkt» und «Die Ästhetik des Widerstands» vorgestellt durch Mitglieder der Internationalen Peter Weiss-Gesellschaft.

Es liest die Schauspielerin und Sprecherin Nina West (Berlin).

Im Vorfeld der Veranstaltung wird am 16. September 2022, 18.00 Uhr, am selben Ort zunächst Gunilla Palmstierna-Weiss im Rahmen einer weiteren Lesung ihre Autobiographie „Eine europäische Frau“ vorstellen.

    

Peter Weiss, Foto von Volker Krämer, © IPWG; Nina West, Foto von Nadja Klier, © Nadja Klier

Nähere Angaben zur Lesung von Gunilla Palmstierna-Weiss und zur Veranstaltung der IPWG

Darüber hinaus wird im Rahmen des ilb 2022 am Sonntag, 11. September 2022, 12:00 Uhr, Peter Brook‘s Filmadaption von Weiss‘ Marat/Sade von 1967 zu sehen sein.

 ---

In memoriam Friedrich Christian Delius

Auf einer Veranstaltung der IPWG zur Leipziger Buchmesse 2010 erläuterte F. C. Delius seine Position bei der Behandlung politischer und gesellschaftlicher Themen. Nicht als „politischer Autor” wollte er verstanden werden, sondern als politisch engagierter Zeitgenosse, der Literatur produziert.

Romane und Erzählungen wie „Mogadischu Fensterplatz“, „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“, „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ oder „Bildnis der Mutter als junge Frau“ verknüpfen prägende politische Ereignisse (nationalsozialistische Vergangenheit, Studentenbewegung, Aktivitäten der RAF, deutsche Teilung und Wiedervereinigung) mit der eigenen Lebensgeschichte.

Wie Peter Weiss, mit dessen Werk er bestens vertraut war, griff auch Delius zeitgeschichtliche Themen auf, verzichtete aber auf die Vermittlung fertiger Lösungen. Sein umfangreiches literarisches Werk fügt sich zu einem Kompendium deutscher Nachkriegs-(Kultur-)Geschichte, das nicht einfach Fakten illustriert, sondern in rhythmischer und formbewusster Sprache sensibilisiert für die Innenseiten von Politik und Historie.

Am 30. Mai 2022 ist Friedrich Christian Delius in Berlin im Alter von 79 Jahren gestorben.

Dr. Rüdiger Sareika

---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ---- ----

Hannes Krauss: Nachruf auf Friedrich Christian Delius (* 13. Februar 1943 in Rom; † 30. Mai 2022 in Berlin)


In seiner Erzählung Die Jerusalemer Krawatte erinnert sich Friedrich Christian Delius an ein israelisch-deutsches Schriftstellertreffen, bei dem er wie so oft in der „Rolle als Zuhörer, Zuschauer und Schweiger vom Dienst“ verharrt habe.

Schweiger? Kaum einer hat so vernehmlich „geschwiegen“ über die Zustände in jenem Land, in das er zwar nicht hineingeboren wurde, in dem er aber die meiste Zeit seines Lebens verbrachte: in der hessischen und ostwestfälischen Provinz und in Berlin (erst in der Halbstadt, dann in der Hauptstadt). Dieser Autor hat keine großen Reden gehalten und keine Appelle inszeniert (auch nicht sich selbst), aber in mehr als drei Dutzend Büchern – Gedichtbänden, Romanen, Erzählungen, Essays, Satiren – hat er die Struktur und die Innenseiten einer Gesellschaft bloßgelegt, die geprägt war von der Verdrängung ihrer Vergangenheit. Sein literarisches Werk fügt sich zur deutschen Chronik der letzten fünfundsiebzig Jahre.

Schon früh als Lyriker erfolgreich (und von manchen auch gefürchtet) wurde er 1972 mit der satirischen Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Hauses S (Unsere Siemenswelt) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Nicht zuletzt durch die Prozesse, mit denen der Weltkonzern diesen Autor und seinen Verlag zu ruinieren drohte. Die schon hier erkennbare Arbeitsweise hat Delius in den folgenden Jahrzehnten zur Meisterschaft perfektioniert: eine – durch akribische Recherche abgesicherte – fiktionale Adaption fremden Denkens und Handelns, die Zustände, Haltungen, Mentalitäten und Ideologien kenntlich machte. Seine Texte illustrieren die politischen Verhältnisse nicht, sondern ordnen sie mit poetischen Mitteln ein in historische und lebensgeschichtliche Kontexte. Wer sich nur für den Wirklichkeitsgehalt interessierte, versäumte ihre literarische Qualität. Offenkundig wurde das bei der skeptischen Rezeption des dritten Teils seiner Trilogie über den Deutschen Herbst (Himmelfahrt eines Staatsfeindes, 1992). Der war kein Buch über die RAF und den Terrorismus, sondern ein literarisches Spektakel, das mit kalkulierter Dramaturgie und sprachlicher Akkuratesse ein Psycho- und Soziogramm der westdeutschen Gesellschaft zeichnete – einer Macher- und Organisatoren-Gesellschaft, in der den Massen nur die Konsumentenrolle blieb.

Ein anderes großes Thema Delius'scher Prosa ist die deutsche Teilung. Am bekanntesten wohl Die Birnen von Ribbeck (1991). Dieser Monolog eines LPG-Bauern – ausgelöst von Westberliner Besuchern, die Fontane zu Ehren in Ribbeck einen Birnbaum pflanzen und dabei vor allem sich selbst feiern – gerät zum furiosen Räsonnement über deutsche Geschichte (Krieg, sowjetische Besatzung, Leben in der DDR) und über die als Kolonisierung wahrgenommene Vereinigung. In

Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus (1995) verarbeitete Delius die Geschichte eines DDR-Kellners, der in den 1980er Jahren über die Ostsee floh, weil er auf den Spuren seines Landsmannes Seume einmal im Leben nach Syrakus reisen und anschließend in die DDR zurückkehren wollte. In der fiktionalen Version entsteht ein facettenreiches Panorama des Alltagslebens in der späten DDR.

Noch prägnanter ist Delius‘ literarischer Blick auf deutsche Geschichte und deutschen Alltag in seinen autobiographisch grundierten Texten. Erinnerungen an den 4. Juli 1954 (den Tag des Endspiels um die Fußballweltmeisterschaft in Bern) werden in Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde (1994) zum Auslöser für ein Buch über Väter, über Unterdrückung und Befreiung durch Sprache, über hessisches Dorfleben in den 1950er Jahren, über die Nachkriegszeit, über das Heranwachsen im Schatten der innerdeutschen Grenze, über pubertäre Sehnsüchte und Ängste.

Auch der Studentenbewegung der 1960er Jahre näherte Delius sich über die Schilderung eines singulären Ereignisses an (Amerikahaus und der Tanz um die Frauen, 1997) und zeigte, dass diese nicht zuletzt kollektive Adoleszenz war. Die Verschränkung von politischer Symbolik und privater Not dokumentiert, dass die Repressionen der Adenauerzeit sich auch in den Körpern eingenistet hatten.

Eine weitere Folge dieser aus der Rekonstruktion privater Wahrnehmung gefügten Chronik erschien 2006: Bildnis der Mutter als junge Frau, gewissermaßen pränatale Erinnerungsliteratur. Der wie Die Birnen von Ribbeck, aus einem einzigen Satz bestehende Text schildert den Gang einer hochschwangeren jungen Deutschen durch Rom – im Januar 1943 auf dem Weg zu einem Konzert in der evangelischen Kirche. Die Wahrnehmungen und Gedanken dieser Frau (offenkundig der Mutter des Autors), deren Mann Soldat und Hilfspfarrer war und unerwartet nach Nordafrika versetzt wurde, präsentieren Bilder vom historischen und zeitgenössischen Rom, von der mecklenburgischen Heimat, vom italienischen Faschismus, von katholischer Opulenz und protestantischer Nüchternheit, von Kunst und der Musik. Zusammengehalten, teilweise auch überlagert, werden diese Bilder durch die Sorgen und Ängste einer Frau, die mitten im Krieg unter Menschen lebt, deren Sprache sie nicht versteht, einer unpolitischen Frau, die unter den politischen Verhältnissen leidet, sie aber erträgt. Der Text ist ein literarisches Kunststück, bei dem allein der souveräne Gebrauch der erlebten Rede die selbstbewusste Joyce-Referenz im Titel rechtfertigt.

In die Reihe jener Bücher, die autobiographisch grundierte Momentaufnahmen zu Miniaturen der jüngeren deutschen Geschichte verdichten, gehört schließlich Die Zukunft der Schönheit (2018), eine Episode vom ersten USA-Besuch des dreiundzwanzigjährigen Autors, der auf dem Rückweg von einer Gruppe 47-Tagung in Princeton am 1. Mai 1966 in New York den Auftritt des Jazz-Musikers Albert Ayler erlebte. In der Rückschau wird daraus ein eindrucksvolles Buch über Musik und Sprache, über Versagensängste (als junger Autor und als Kind), über Erinnerungen an den Kennedymord und die ersten Vietnam- Demonstrationen. Zugleich ist es eine – nicht ohne Sympathie geführte – Auseinandersetzung mit dem früh verstorbenen, wortgewaltigen und strengen Vater, der gleichermaßen Vorbild und Widerpart war. Auch hier wird Zeitgeschichte in privater Perspektive gespiegelt. Die Erinnerungen an die Improvisationen des Jazz-Musikers lösen kluge Reflexionen aus über den Zusammenhang von Schreiben und Widerstand (auch gegen die politischen Verhältnisse). Ein Kunst-Stückchen, das auf weniger als 100 Seiten mehr über die Generation der in den 1940er Jahren Geborenen verrät, als mancher Geschichtswälzer. Zudem ein Musikbuch, das durch die Musikalität seiner Sprache glänzt.

Last but not least muss das letzte zu Lebzeiten erschienene Buch erwähnt werden: drei unter dem Titel Die sieben Sprachen des Schweigens zusammengefasste Texte, in denen sich biografische Schlüssel-Erlebnisse (Schriftstellertreffen in Jerusalem, Begegnung mit Imre Kertesz, Nahtoderfahrung auf der Intensivstation) zur exemplarischen Lebensbilanz formieren. Eines der reifsten Bücher dieses Autors, das zu seinem Leidwesen vom Feuilleton kaum beachtet wurde.

Delius‘ Selbsteinschätzung, “kein politischer Autor” zu sein, mag zunächst irritieren, aber sie trifft zu. Er war ein politisch engagierter Zeitgenosse, der “keine Angst vor der Wirklichkeit” hatte und diese Wirklichkeit in Literatur goss. Eine Literatur, die den Blick schärft für originelle Perspektiven und mit ihrer rhythmischen, formbewussten Sprache sensibilisiert für die Innenseiten von Politik und Historie. Nicht mit großen Worten, aber mit genauen Sätzen hat er dieses Land unter seiner glatten – bisweilen auch schmutzigen – Oberfläche ausgeleuchtet. Nie lautstark, immer präsent. Ein wacher Zeitgenosse und zugleich ein Sprachkünstler, der – Peter Weiss nicht unähnlich – das Politische im Privaten zum Vorschein brachte.

Nun ist dieser zurückhaltend-sympathische Mensch endgültig verstummt. Sein unüberhörbares Schweigen wird uns fehlen, aber seine Bücher bleiben. Bücher, die längst zum Kanon der deutschen Gegenwartsliteratur gehören.

 ---

Bundeswettbewerb Treffen junger Autor*innen 2022

Die Teilnahme am fünftägigen Treffen junger Autor*innen in Berlin ist der Preis eines deutschlandweiten Wettbewerbes für Nachwuchskünstler*innen.

Junge Autor*innen gesucht!

Du schreibst gern Gedichte, Theaterstücke, Kurzgeschichten, Slam Poetry oder experimentierst mit Sprache?
Du willst deine Texte vor Publikum bei einer Lesung in Berlin vorstellen?
Du hast Lust, andere junge Autor*innen kennenzulernen, dich mit Profis auszutauschen und dich in Workshops rund ums Schreiben auszuprobieren?

Dann freuen sich die Berliner Festspiele auf deine Bewerbung beim Treffen junger Autor*innen!

Du kannst bis zu fünf Textseiten oder zehn Gedichte einsenden. Erstmals können in diesem Jahr auch Texte in anderen Sprachen und mehrsprachige Texte eingereicht werden. Die Teilnahme am fünftägigen Treffen junger Autor*innen in Berlin ist der Preis des deutschlandweiten Wettbewerbes für Nachwuchsautor*innen.

Das Treffen junger Autor*innen bietet jungen schreibenden Menschen eine Plattform, auf der sie ihre Texte vorstellen können, und schafft damit Aufmerksamkeit für ihre Anliegen, Themen und Standpunkte. Gleichzeitig öffnet das Treffen einen geschützten Raum, in dem sich die jungen Künstler*innen begegnen, gegenseitig inspirieren und durch professionelle Begleitung erfahrener Autor*innen und Workshopleiter*innen bestärkt werden, ihren persönlichen künstlerischen Ausdruck weiterzuentwickeln.

Erfahre mehr zum Treffen junger Autor*innen

Der Bundeswettbewerb Treffen junger Autor*innen der Berliner Festspiele wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Termine Treffen junger Autor*innen 2022:

Ausschreibungsbeginn März 2022
Bewerbungsschluss 15. Juli 2022
Bekanntgabe Auswahl September 2022

Nähere Informationen und Bewerbung

---

„Marat/Sade“ im Bahnhof Langendreer, Bochum

Turbulente Theater-Collage über die Französische Revolution

Dieses Stück machte den deutsch-schwedischen Autor Peter Weiss, Namensgeber für den Preis der Stadt Bochum, in den 1960er Jahren mit einem Schlag weltbekannt: MARAT/SADE bietet unterhaltsames, politisches Theater mit Tiefgang.
Jetzt zeigt das freie Theater Gegendruck aus Recklinghausen seine gefeierte Inszenierung des modernen Klassikers am Donnerstag, 26. Mai 2022, 19 Uhr, im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer.

MARAT/SADE bringt die Französische Revolution auf die Bühne, gespielt von den Insassen der Heilanstalt Charenton: Das turbulente Stück knüpft an die Tradition des Volkstheaters an.

MARAT/SADE ist ein wilder Mix aus Tragödie und Farce, aus „Theater im Theater“ und historischem Drama.
Beim Duell der Protagonisten Marat und de Sade stehen Individualismus und Lebensgenuss gegen die Notwendigkeit, eine andere Welt zu erstreiten. Und noch immer nicht sind die Forderungen des Volks erfüllt…

Mit der ERMITTLUNG von Peter Weiss beeindruckte Theater Gegendruck im November 2021 das Bochumer Publikum im Kunstmuseum Bochum. Bei MARAT/SADE gehören zum Ensemble auch die Figurenspielerin Desiree Baier und der Musiker Claudius Reimann (Saxofon, Schlagzeug, Akkordeon).


 

 

Donnerstag, 26. Mai 2022, 19 Uhr
Kulturzentrum Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 44898 Bochum

Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats
dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton
unter Anleitung des Herrn de Sade
von Peter Weiss

Eine Produktion von Theater Gegendruck
mit: Desiree Baier, Michael Georgi, Marie Jendrusch, Claudius Reimann
und Dimitrij Schewalje
Regie: Johannes Thorbecke
Szenografie: Erich Füllgrabe
Kostüme: Regine Thorbecke
Live-Musik: Claudius Reimann
Puppenbau: Desiree Baier
Dramaturgische Mitarbeit: Julia Molero Azara
Licht: Holger Bäcker
Soufflage: Melanie Hippe

Eintritt: 12.- (Abendkasse)/9.- (VVK)
Vorverkauf im café.endstation.kino; https://bahnhof-langendreer.de/tickets.html
Info/Kontakt: www.theater-gegendruck.de

Foto: MARAT/SADE von Matthias Schilling

---

Der Störfall Peter Weiss

Aus Anlass des 40. Todestages von Peter Weiss am 10. Mai 2022 wird in Potsdam unter Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Mike Schubert am 13. und 14. Mai 2022 eine internationale Konferenz stattfinden, organisiert von der Universität Potsdam in Kooperation mit der Internationalen Peter Weiss-Gesellschaft, der Pädagogischen Universität Krakow sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das Thema der deutsch-polnischen Konferenz – „Der Störfall Peter Weiss“ – bezieht sich auf die Wirkung von Peter Weiss und seinen Werken. Es werden rezeptive Fragen aufgeworfen, die nicht zuletzt von Weiss‘ Überlegungen geleitet sind, wie mit künstlerischen Mitteln Einfluss auf Denken, Handeln und Wirken von Lesern und Betrachtern gewonnen werden kann.

Eintritt: frei
Ort: Stadt- und Landesbibliothek im Bildungsforum Potsdam, Am Kanal 47, 14467 Potsdam, EG, Veranstaltungssaal
Eine Anmeldung ist auf der Website der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam möglich.


Freitag, 13. Mai 2022

10.00 Uhr Eröffnung der Tagung
Begrüßung – in memoriam Hans-Christian Stillmark
Ulrike Schneider, Arnd Beise, Brigitte Krüger

10.15 Uhr I. Panel
Michael Hofmann (Universität Paderborn)
Störungen durch Exilanten? Peter Weiss und Paul Celan in der Gruppe 47 und in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft

11.00 Uhr Kaffeepause

11.15 Uhr
Artur Pełka (Universität Łodz)
Peter Weiss‘ „Marat/Sade“ und seine (polnische) Rezeption

Monika Tokarzewska (Universität Toruń)
Peter Weiss mit Walter Benjamins Begriff der Geschichte gelesen

12.30 Uhr Mittagspause

14.00 Uhr Grußwort des Oberbürgermeisters Mike Schubert

14.15 Uhr II. Panel
Marta Famula (Universität Paderborn)
„...Kritik verschiedener Grade“. Das Potential der Krisis im dokumentarischen Theater Peter Weissʼ und danach

Agata Mirecka (Pädagogische Universität Kraków)
Die „Störung der Abläufe“ und die Einbindung solcher Störung ins System der postmodernen Gesellschaft - „Der neue Prozess“ von Peter Weiss

15.30 Uhr Kaffeepause

15.45 Uhr III. Panel
Carsten Gansel (Universität Gießen)
Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“ – eine Aufstörung in Ost und West

Arnd Beise (Universität Fribourg)
Zu Weiss’ Störungen des einvernehmlichen Verhältnisses mit der DDR-Kulturpolitik

17.00 Uhr Kaffeepause

17.15 Uhr IV. Panel
Gerhard Friedrich (Universität Turin)
Peter Weiss in Italien: Wirkungsgeschichte von Dantes „Divina Commedia“

Karol Sauerland (Universität Warschau)
Peter Weissens Störfälle autobiographisch betrachtet

18.30 Uhr Abschluss des ersten Tages

Gemeinsames Abendessen in Potsdam

Samstag, 14. Mai 2022

9.30 Uhr V. Panel
Zbigniew Feliszewski (Universität Katowice)
Peter Weiss und Konrad Swinarski

Julia Lind (Universität Mainz)
Weibliches Dokumentartheater? She She Pop in der Tradition des Dokumentarischen Theaters nach Peter Weiss

10.40 Uhr Pause

10.58 Uhr Fahrt zum Kino „Thalia“ in Potsdam-Babelsberg mit der Straßenbahn 94 (Richtung Fontanestr.): Einstieg Haltestelle ‚Platz der Einheit/West‘, Ausstieg Haltestelle ‚S Babelsberg/Wattstr.‘ (12 Minuten). Das Kino liegt gegenüber der Haltestelle ‚S Babelsberg‘ der Berliner S-Bahn.

11.30 Uhr Matinee im Kino „Thalia“, Rudolf-Breitscheid-Straße 50
Peter Weiss: „Hägringen“ (1959), schwedischer Spielfilm nach Weiss‘ Erzählung „Der Verschollene/Dokument I“
Einführung Andreas Degen

13.00 Uhr Abschluss der Tagung

Möglichkeit eines gemeinsamen Mittagessens in Babelsberg

Veranstaltungshinweis der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Beitrag zum 40. Todestag von Peter Weiss, nd-aktuell, 9. Mai 2022

---

„Marat/Sade“ im Peter-Weiss-Haus

Im Peter-Weiss-Haus Rostock wird die Theatergruppe Freigeister Weiss‘ Stück „Marat/Sade“ als Premiere am Montag, dem 9. Mai 2022 darbieten. Im Mai und Juni 2022 sind weitere Aufführungen geplant.

Inmitten der Französischen Revolution stehen die beiden Widersacher Marat und de Sade und ihre konträren Weltanschauungen mit den damit einhergehenden Staatsentwürfen. Während Marat der Gesellschaft zum Wohle aller, wie er glaubt, Moral und Tugend aufzwingen will, das Volk vertritt und die Revolution – blutig, wie sie längst geworden ist – rechtfertigt, resigniert de Sade angesichts der unabänderlichen Natur des Menschen, verlacht Marats sozialistische Ideen und sieht das Heil in der Loslösung des Einzelnen aus der Gesellschaft.

„I’ve twisted and turned them every way,
and can see no ending to our play.“

Leben und Tod des Revolutionärs (und der Revolution) werden als Spiel im Spiel, als Theater im Theater, dreizehn Jahre nach Marats Tod dargestellt im Irrenhaus von Charenton. Regie führt der Marquis de Sade. Weiss hält sich eng an historische Fakten, und doch ist sein Drama so weit wie nur irgend möglich von einem historischen Drama entfernt. Das Stück wurde nach seiner Uraufführung in Berlin zu einem der größten internationalen Theatererfolge.

---

24-Stunden-Aufführung von „Die Ermittlung“ am Amtsgericht Münster

Um der Verhöhnung des Leids der Juden im Dritten Reich, zu der es im Winter 2021/22 in unterschiedlichen Zusammenhängen kam, entgegenzutreten, zeigte Münsters Stadtensemble „Die Ermittlung“ von Peter Weiss im Großen Saal des Amtsgerichts Münster am 8. Mai 2022 als 24-Stunden-Aufführung bzw. Szenische Lesung.

Stadtensemble Münster

Medienberichte

---

Uraufführung der Oper „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird“

Nachdem der deutsche Komponist und Musikpädagoge Stefan Litwin bereits „Nacht mit Gästen“ von Peter Weiss als Musiktheater realisiert hat, folgte nun für das Staatstheater Braunschweig die Vertonung des Schwesterwerks „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird“, das im Frühjahr 1968 im Landestheater Hannover uraufgeführt worden ist, als große clowneske Oper und als ein spartenübergreifendes Projekt zwischen Musiktheater und Schauspiel. Die Musik zeichnet Mockinpotts Transformation mit düsterem Humor nach und kommentiert sie. Die Uraufführung erfolgte am 5. März 2022 im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig.

Staatstheater Braunschweig

Medienberichte

---

Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum geht an Ute Adamczewski

Der Peter-Weiss-Preis 2021 der Stadt Bochum wird an die Filmemacherin Ute Adamczewski verliehen. Die Auszeichnung, benannt nach dem Autor, Dramatiker, Maler und Filmemacher Peter Weiss, wird seit 1990 alle zwei Jahre an eine Persönlichkeit aus einer der Sparten Literatur, Theater, bildende Kunst und Film vergeben. Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert.

Die Jury hat sich auf ihrer Sitzung im Dezember für Ute Adamczewski als Preisträgerin ausgesprochen. Insbesondere hatte der Film „Zustand und Gelände“, der erst im Sommer 2021 in den Kinos zu sehen war, mit seiner Aktualität und gesellschaftlichen Brisanz tiefen Eindruck hinterlassen. Die Jury würdigt die Arbeit der Regisseurin und Künstlerin Ute Adamczewski „die seit 2013 mit verschiedenen konzeptuellen Videoarbeiten wie `Die neue Ordnung´ (2013) und `La Ville Radieuse Chinoise´ (2015) auf sich aufmerksam machte.“

Weitere Informationen

Medienberichte

---

Eine Europäische Frau. Erinnerungen

Ausgehend von ihren Vorfahren in Deutschland und Schweden beschreibt Gunilla Palmstierna-Weiss ihr Leben: eine jüdische Buchdrucker-Familie mütterlicherseits und der Großvater väterlicherseits, Außenminister der ersten sozialdemokratischen Regierung in Schweden. Im Zweiten Weltkrieg konnte ihre Familie mit dem letzten Zug aus Nazideutschland nach Holland fliehen. Palmstierna-Weiss erzählt vom Erwachsenwerden in den dunklen Jahrzehnten. Erst nach ihrem Studium in Amsterdam und Paris kommt sie endgültig zurück nach Schweden und erlebt die Boheme in den 50ern in der Stockholmer Altstadt.

Im Zuge ihrer Arbeit am Theater lernt sie Peter Weiss kennen, den sie heiratet und mit dem sie auch eine Arbeitsgemeinschaft bildet. Viele Reisen prägten ihr Leben (USA, Mexiko, Kuba und Vietnam). Erst machte sie als Keramikerin Karriere, schließlich entschloss sie sich Theater- und Opernausstatterin zu werden. Dies führte zur Zusammen arbeit mit einer Vielzahl an bekannten Regisseuren: Ingmar Bergman, Peter Brook, Fritz Kortner, Götz Friedrich in Stockholm, München, New York und der ganzen Welt. All diese, aber auch Freundinnen wie Siri Derkert oder Freunde wie Olof Palme werden von Palmstierna-Weiss liebevoll porträtiert

Gunilla Palmstierna-Weiss: Eine Europäische Frau. Erinnerungen. Übersetzt von Jana Hallberg. Berlin: Verbrecher Verlag. Umfang: 380 Seiten, Preis: 32,00 €. Voraussichtlicher Erscheinungstermin: 30. August 2022. verbrecherverlag.de

Rezensionen

---

Widerstand und Exil. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Bochum

Einen besonderen Zugang zum Thema Widerstand und Exil im Nationalsozialismus bietet die Ausstellung „HK Destins / Schicksale“ im Kunstmuseum Bochum. Im Mittelpunkt stehen Leben und Tod des Bochumer Kommunalpolitikers und Widerstandskämpfers Heinrich König (1886–1943).

Die Künstler Arno Gisinger und Pierre Rabardel schaffen mittels räumlich inszenierter Fotografien und einiger Exponate eine visuelle Topographie von Heinrich Königs Biografie, vermitteln Bezüge zu den Erfahrungen einiger seiner Wegbegleiter und stellen gleichzeitig die allgemeine Frage nach dem Leben im Exil und im Widerstand. Zusätzlich eröffnet diese Ausstellung Bezüge zur Kollaboration Frankreichs mit den Nazis und zur Résistance.

Mit der Erzählung zum Leben von König wird das Thema der Ausstellung im reich bebilderten und umfangreichen Katalog erst vollständig erschlossen. Bilder und Texte ergeben einen eigenständigen, literarisch-dokumentarischen Zugang zu Widerstand und Exil.

Insgesamt passt diese Ausstellung sehr gut in die Tradition des Museums zur Beschäftigung mit Peter Weiss. Hier wurde 1980 die erste große und bis heute maßgebliche Retrospektive zum bildnerischen Werk von Weiss präsentiert. Aus dieser Präsentation heraus entstand letztlich der Impuls zum Peter Weiss-Preis der Stadt Bochum, der seit 1990 verliehen wird. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Weiss-Preis

Die Ausstellung ist bis zum 30. Januar 2022 zu sehen. kunstmuseumbochum.de

Rüdiger Sareika