Hinweise 2019
Otobong Nkanga erhält den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum
Die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga erhält den mit 15 000 Euro dotierten Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum. In einer Mitteilung hob die Jury hervor, die 1974 geborene Fotografin, Performerin, Plastikerin und Autorin begreife ihre künstlerisch-anthropologischen Studien als den ganzen Menschen umfassende, konkrete Untersuchungen. Der Preis wird am Sonntag, dem 15. Dezember 2019 im Kunstmuseum Bochum verliehen.
Nähere Informationen
Medienberichte zur Preisverleihung
Ebenfalls am 15. Dezember 2019 findet im Kunstmuseum Bochum die Mitgliederversammlung 2019 der IPWG statt. Folgende Einladung wurde den Mitgliedern zugestellt:
Liebe Mitglieder der IPWG!
Die IPWG trifft sich zur Jahresmitgliederversammlung am Sonntag, dem 15. Dezember 2019 von 10.15 Uhr bis 11.45 Uhr im Kunstmuseum Bochum, Kortumstraße 147, 44787 Bochum.
Im Anschluss an die Mitgliederversammlung besuchen wir um 14.00 Uhr am selben Ort die Verleihung des Peter-Weiss-Preises der Stadt Bochum 2019 an die in Antwerpen ansässige Künstlerin Otobong Nkanga.
Die 1974 in Nigeria geborene Fotografin, Performerin, Plastikerin und Autorin begreife ihre künstlerisch-anthropologischen Studien als den ganzen Menschen umfassende, konkrete Untersuchungen, heißt es zur Entscheidung der Jury. Die Künstlerin stellte u. a. in der Londoner Tate Modern aus, im KW Institute (Berlin), dem Stedelijk Museum Amsterdam und nahm an der documenta 14, den Biennalen von Venedig, Sharjah und Sydney teil.
Als Tagesordnung der Mitgliederversammlung wird vorgeschlagen:
TOP 1: Feststellung der Tagesordnung
TOP 2: Protokoll
TOP 3: Bericht des Vorstands, des Rechnungsprüfers und weiterer Mitglieder
TOP 4: Aussprache
TOP 5: Zukünftige Aktivitäten der IPWG
TOP 6: Überarbeitung des Geschäftsverteilungsplans
TOP 7: Verschiedenes
[...] Fragen und Anregungen bitte an den Vorsitzenden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Mit herzlichen Grüssen
Prof. Dr. Arnd Beise
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F.A.Z. erinnert an Bernd Naumanns Prozessberichterstattung
Aus Anlass ihres 70-jährigen Bestehens erinnert die F.A.Z. an Bernd Naumanns ausführliche Berichterstattung vom ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess im Ressort „Deutschland und die Welt“. Peter Weiss orientierte sich bei der Arbeit an seinem Theaterstück „Die Ermittlung“, im Herbst 1965 uraufgeführt, auch an Naumanns Prozessberichten.
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Ein Automat, zwei Veranstaltungen. „Die Ästhetik des Widerstands“
Das selbstverwaltete Stadtteilzentrum Gasparitsch in Stuttgart-Ost zeigt im Oktober 2019 den Spielautomaten «Wider die Gespenster», der sich auf Peter Weiss bezieht und vom Künstler Peter Schmidt gebaut wurde.
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„Marat/Sade“ beim Greizer Theaterherbst
Beim Greizer Theaterherbst in Thüringen wurde im Rahmen der von Georg Peetz geleiteten Schauspielwerkstatt im September 2019 Peter Weiss’ geschichtsphilosophisches Drama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ aufgeführt.
Medienberichte
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„Die Ästhetik des Widerstands“. Ein Wochenende mit Pop-up-Ausstellung, Workshops und Filmscreenings
Das Wochenende über «Die Ästhetik des Widerstands» mit Pop-up-Ausstellung, Workshops und Filmscreenings in der Kunsthalle Darmstadt nimmt den gleichnamigen Weiss'schen Roman zum Ausgangspunkt, um in unterschiedlichen Formaten nach dem Verhältnis von Politik und Ästhetik zu fragen. Inhaltlich knüpfen die Veranstaltungen damit an die Ausstellung «Helmpflicht» an, die über das Thema der Baustelle auch die Lage der «arbeitenden Klasse» aus der Perspektive zeitgenössischer KünstlerInnen beleuchtet.
Peter Weiss (1916-1982) veröffentlichte 1975, 1978 und 1981 jeweils einen Band seines monumentalen Romans «Die Ästhetik des Widerstands». Im Zentrum der Trilogie steht die Frage nach der politischen Sprengkraft von Bildung und insbesondere auch von Kunst und Kultur.
Ein historischer Bezugspunkt für das Programm ist neben Peter Weiss die im Roman ausführlich behandelte Person Willi Münzenbergs und die von ihm in den 1920er-Jahren herausgegebene «Arbeiter-Illustrierte-Zeitung» (AIZ). Originalausgaben der AIZ sind an diesem Wochenende im Studio West der Kunsthalle zu sehen.
Zwei Workshops am Samstag und Sonntag bieten Gelegenheit sowohl den Roman von Peter Weiss als auch die verlegerische Praxis von Willi Münzenberg kennenzulernen. Gemeinsam mit Julian Volz, Politikwissenschaftler und Kurator des Wochenendes zur «Ästhetik des Widerstands», werden Passagen aus ihren Werken besprochen und diskutiert. Die Teilnahme an den Workshops ist kostenfrei. Es werden keine Vorkenntnisse vorausgesetzt.
Um verbindliche Anmeldung wird gebeten bis zum 02.09.19: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Kunsthalle Darmstadt, 6. bis 8. September 2019
Eintritt zu den Veranstaltungen inkl. Ausstellung 5 €, ermäßigt 3 €. Inhaber eines Festivaltickets «Den Bogen spannen - 100 Jahre Darmstädter Sezession» haben freien Eintritt.
Ein Interview mit den Veranstaltern und Kuratoren des Wochenendes mit Pop-up-Ausstellung enthält Ausgabe 50 der „Notizblätter“ der IPWG.
Nähere Informationen einschließlich Programm
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„Marat/Sade“ am Schauspielhaus Bochum
Die freie Gruppe Monster Truck inszeniert Peter Weiss‘ Marat/Sade am Schauspielhaus Bochum. Die Gruppe untersucht mit dem Drama den schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Vernunft. Nach der Premiere baut sie ein Narrenschiff auf dem Vorplatz des Theaters, das auf einem einwöchigen Fußweg von Bochum nach Gent transportiert wird. Die Koproduktion mit Monster Truck und dem NTGent feiert am 29. Juni 2019 Premiere in den Kammerspielen.
Medienberichte
- Theaterkompass, 22. Juni 2019
- WAZ, 26. Juni 2019
- lokalkompass.de, 27. Juni 2019 und 8. Juli 2019
- DLF Kultur, 29. Juni 2019
- DLF Kultur, 29. Juni 2019
- wa.de. 3. Juli 3019
- trailer-ruhr.de, 31. Juli 2019
- Theater heute, Nr. 10, Oktober 2019, S. 55 f.
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Oliver Frljić zeigt „Imaginary Europe“
Oliver Frljić zeigt mit dem neu gegründeten Europa Ensemble sein Stück „Imaginary Europe“. Der gesprochene Text auf der Bühne besteht zu einem erheblichen Teil aus Auszügen von Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“.
Medienberichte
- Süddeutsche Zeitung, 11. April 2019
- Theater heute, Nr. 6, Juni 2019, S. 53
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Vernissage: Gunilla Palmstierna-Weiss
Am Samstag, dem 30. März 2019 wird im Moderna Museet, Exercisplan 4, 111 49 Stockholm, zwischen 15:00 und 18:00 Uhr die Ausstellung „Gunilla Palmstierna-Weiss. Gezeichnete Szenen 1964–1984“ eröffnet. In der Ausstellung wird ein Ausschnitt aus der umfangreichen künstlerischen Produktion von Gunilla Palmstierna-Weiss aus dem Zeitraum von 1964 bis 1984 gezeigt, darunter Zeichnungen, Collagen, Modelle und Keramikobjekte.
Gunilla Palmstierna-Weiss, Jahrgang 1928, arbeitete an der Schnittstelle von Szenografie und bildender Kunst. Die Künstlerin war und ist Teil einer internationalen Szene intellektuell und politisch engagierter Künstlerinnen und Künstler. Zu Beginn der Vernissage am 30. März 2018 wird es u. a. um 15.30 Uhr ein Gespräch zwischen der Künstlerin Gunilla Palmstierna-Weiss und den Kuratorinnen der Ausstellung, Asrin Haidari und Emily Fahlén, geben.
Die Ausstellung ist bis zum 29. September 2019 zu sehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.
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Gunilla Palmstierna-Weiss. Die IPWG grüßt herzlichst zum Geburtstag und zur neuen Ausstellung
Anlässe, Gunilla Palmstierna-Weiss zu feiern, gibt es zur Genüge: Am 28. März 2019 beging sie ihren 91. Geburtstag, und wenn die vorliegenden Blätter ihre Leserinnen und Leser erreichen, wird eine Ausstellung über ihr Werk im Stockholmer Moderna Museet eröffnet worden sein: „Gunilla Palmstierna-Weiss. Tecknade Scener 1964-84“, kuratiert von Emily Fahlén und Asrin Haidari, zu sehen bis zum 29. September 2019. Der Titel „Tecknade Scener“ kann wahlweise als „gezeichnete Szenen“ oder „gezeichnete Bühnen“ übersetzt werden, und in genau diesem Spannungsfeld bewegen sich die Exponate: Im Medium bühnen- und kostümbildnerischer Arbeiten, in Skizzen, Zeichnungen und Modellen, werden Situationen und Konstellationen zwischen Szene und Bühne lebendig.
Palmstierna-Weiss wurde im Jahr 1928 als Kind schwedischer Eltern in Lausanne geboren. Große Teile der 1930er und 40er Jahre verbrachte sie mit ihrem Bruder und ihrer Mutter, die Ärztin aus einer jüdischen Buchdruckerfamilie und Schülerin Sigmund Freuds war, im Versteck in Rotterdam und Berlin. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs, nachdem sie Deportationen gesehen und Bombardierungen überlebt hatte, gelang ihr die Flucht nach Schweden. In den Nachkriegsjahren studierte sie Kunst in Amsterdam, Paris und Stockholm. Als sie Peter Weiss im Jahr 1952 kennenlernte, war sie eine etablierte Keramikerin und Illustratorin, deren visuelle Sprache an den Traditionen der niederländischen De Stijl-Ästhetik sowie am Bauhaus-Programm geschult war. Sie gehörte zu den Kreisen des schwedischen sozialistischen Clarté-Verbands; in gleichem Maße wie Peter Weiss und unabhängig von ihm war sie Teil jener Zirkel, in denen nicht nur die künstlerische Avantgarde sondern auch Theorierichtungen wie Psychoanalyse, Existenzialismus und Marxismus rezipiert wurden.
Auch wer einiges hiervon längst wusste, muss beim Lesen ihrer 2014 auf Schwedisch erschienenen Biografie „Minnets Spelplats“ (dt. Schauplatz der Erinnerung) über die schiere Vielfalt der entsprechenden Netzwerke und Konstellationen staunen. Das Buch ist gegliedert nach Portraits teils in Vergessenheit, teils zu Ruhm geratener Personen und Situationen und liest sich wie eine Archäologie der soziokulturellen Geschichte Schwedens und Europas. Im Zentrum steht zu Beginn des Buches die turbulente und brüchige Familiengeschichte beider Eltern, väterlicherseits adlig und in Politik und Diplomatie etabliert, mütterlicherseits jüdisch-kaufmännisch.
Mit Peter Weiss war die Autorin von 1964 bis zu seinem Tod im Jahr 1982 verheiratet, ihre Autobiografie eröffnet eine andere Perspektive auf das politische Engagement des Paares in den 1960er und 70er Jahren. Die Ironie und der Witz von Palmstierna-Weiss verhält sich kontrapunktisch und ergänzend zu dem ganz anderen sprachlichen Temperament ihres Mannes. Die deskriptiven Qualitäten des Buches sorgen für eine einprägsame Lektüreerfahrung. Das Künstlerpaar bereiste Nordvietnam im Jahr 1968 und schrieb zusammen darüber, es begegnete Personen wie Rudi Dutschke, Ulrike Meinhof, Nguyen Thi Binh, Jean-Paul Sartre, Giséle Halimi, Alfonso Sastre, Anaïs Nin, John Cage und Fidel Castro.
In ihrer Autobiografie kombiniert Palmstierna-Weiss Geschichten über solche namhaften Personen mit dem Erzählen einer in Vergessenheit geratenen Welt: Zum Staunen regen die literarischen Portraits einzelner Menschen an, deren Namen und Schicksale nicht in die Kulturgeschichtsschreibung eingingen – anders als etwa die ebenfalls behandelten, späteren Prominenten wie Pontus Hultén, Carlo und Kerstin Derkert und Öyvind Fahlström. Die Putzfrau, die bei den Künstlerparties wild auf den Tischen tanzte, der Onkel, der in den 50ern mit einem Mann in der Stockholmer Altstadt zusammenlebte, in Frauenkleidung ausging, als Babysitter des Kindes Mikael Sylwan einsprang und eines viel zu frühen Todes starb. Bis zur Publikation des Buches von Palmstierna-Weiss war er vergessen worden, der Erfolg des Buches führte dazu, dass er posthum von der Stockholmer Schwulenszene gewürdigt wurde.
Besonders faszinierend mit Blick auf die neue Ausstellung ist an „Minnets Spelplats“ genau dies: Die nicht-etablierte Vorgeschichte des institutionalisierten Kulturlebens in Schweden, die Schilderung des Bohémelebens in den damaligen Armenvierteln der Stockholmer Altstadt, und wie es mit der Zeit gleitend überging in die international geprägten Kreise um das staatliche Museum für moderne Kunst, das im Jahr 1958 gegründet und in den 1960er Jahren zu weltweitem Ruhm geriet. Mit der Separatausstellung über das Werk von Palmstierna-Weiss in den Räumlichkeiten ebendieses Museums schließt sich somit ein Kreis.
Der Fokus der Stockholmer Ausstellung liegt auf dem Schaffen zwischen 1964 und 1984. Die avantgardistische Prägung der Künstlerin macht sich gerade in ihrem bühnenbildnerischen Werk bemerkbar, in der Gestaltung des Bühnenraums sowie in der Farbgebung. Hier kündigen die Kuratoren an, eine Kontinuität zwischen der Bauhaus-Ästhetik der Keramik einerseits, und der Arbeit im Theater andererseits aufzuzeigen. Im Jahr 1964 war Palmstierna-Weiss für Kostüm und Bühnenbild bei der legendären Uraufführung von Marat/Sade am Berliner Schillertheater in der Regie Konrad Swinarskis zuständig. Ihr Beitrag war bei weitem nicht nur illustratorisch; mit den Ergebnissen ihrer umfangreichen Archivrecherche in Paris trug sie auch konzeptuell zur Form des Stücks wie der Inszenierung bei. Auch durch die Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Peter Brook, Fritz Kortner und vor allem Ingmar Bergman avancierte Palmstierna-Weiss zu einer der bedeutendsten Bühnenbildnerinnen des 20. Jahrhunderts.
In ihrer Ausstellungsankündigung artikulieren die Kuratoren eine Herangehensweise, die die besondere Stellung der Bühnenbildnerin im künstlerischen Produktionsprozess hervorhebt: Der Beruf verlangt einerseits Teilnahme an einem Kollektiv, an Verhandlungen sowie Formen intellektueller Zusammenarbeit. Die ausgestellten Exponate sind hingegen im eher geschlossenen Raum individuellen künstlerischen Schaffens entstanden: Skizzen, Zeichnungen, architektonische Bühnenmodelle und Collagen. Diese, so die Ankündigung, kommen mit der Ausstellung jenseits des Theaterzusammenhangs als Kunstwerke zu ihrem Recht: „Von den ästhetischen Prinzipien abgesehen, verfügen die Zeichnungen über zutiefst persönliche Qualitäten, die in Form von Absurdismus, Wahnsinn, Humor und Finsternis zum Ausdruck kommen. Im Rahmen einer visuellen Regie treten einzelne Charaktere durch Grimassen, Bewegungen und körperliche Gebrechen hervor, aber auch durch kollektive Situationen, in denen die Körper in Menschenansammlungen, Armeen und Zusammenkünften Räume erzeugen.“ (Quelle: Homepage des Museums)
Jenny Willner
GUNILLA PALMSTIERNA-WEISS. TECKNADE SCENER 1964–1984, kuratiert von Emily Fahlén und Asrin Haidari. 30.3–29.9.2019, Moderna Museet, Stockholm. www.modernamuseet.se/stockholm/en/exhibitions/gunilla-palmstierna-weiss/
GUNILLA PALMSTIERNA-WEISS. MINNETS SPELPLATS. Bonnier: Stockholm 2014, 392 S. Eine deutsche Übersetzung ist beim Berliner Verbrecher Verlag geplant.
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Ein Geschenk des Himmels. Manfred Haiduk zum 90. Geburtstag
„Ich denke, dass Manfred für Peter mehr war als ein Arbeitspartner – er war für ihn ein Geschenk des Himmels“, meinte Gunilla Palmstierna-Weiss einmal. Peter Weiss und seine Frau lernten Manfred Haiduk bei der Vorbereitung der ersten Weiss-Inszenierung in der DDR kennen: Marat/Sade in der Regie von Hanns Anselm Perten am Volkstheater Rostock. Am Vorabend von Haiduks 36. Geburtstag hatte die ostdeutsche Erstaufführung Premiere. Unmerklich oder nur von Wenigen bemerkt, ging die Premierenfeier in eine Geburtstagsfeier über.
Vielleicht ist diese Situation bezeichnend. Gefeiert wurde der Dichter, zu wenig der beratende Wissenschaftler. Dieser Wissenschaftler aber war und ist wichtig. Für die damalige Inszenierung. Für die Dichtung. Für die Wissenschaft. Viel Aufhebens hat er davon nicht gemacht. Manfred Haiduk wurde am 27. März 1929 als Sohn einer Schneider-Familie in Breslau geboren und gegen Kriegsende vom „Dritten Reich“ noch als einer der Letzten aufgeboten, doch überlebte er eine schwere Verwundung und konnte in der SBZ und der DDR sich ausbilden: ab 1946 Verwaltungslehre, berufsbegleitende Studienvorbereitung, 1950-1954 Studium der Germanistik, Geschichte und Psychologie.
1958 promovierte Haiduk als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Germanistischen Instituts der Universität Rostock über „Wesen und Sprache der polemischen Schriften Thomas Manns“. Haiduk war zu dieser Zeit als Assistent und Dozent am Germanistischen Institut tätig, und er überraschte manche Studierenden mit seiner antiautoritären, offenen und am gleichberechtigten Gespräch interessierten Haltung im Seminar, in der Lehre und bei Prüfungen. Der ehemalige Germanistikstudent Wolfgang Trampe hat dem Hochschullehrer Manfred Haiduk übrigens in dem Roman „Veränderung der höheren Semester“ (1982) ein schönes Denkmal gesetzt.
Als junger Wissenschaftler engagierte sich Haiduk nicht nur in der Selbstverwaltung der Universität, als studentisches Mitglied des Senats zum Beispiel oder später als Prorektor für Studienangelegenheiten, sondern auch außerhalb der Akademie, zum Beispiel als „wissenschaftlicher Berater“ im Theater. In dieser Eigenschaft half er, viele Stücke von Peter Weiss auf die Rostocker Volkstheaterbühne zu bringen: 1965 den bereits erwähnten Marat/Sade zum Beispiel, 1965 Die Ermittlung, 1966 Nacht mit Gästen, 1967 den Lusitanischen Popanz, 1968 den Viet Nam Diskurs.
Haiduk hatte damit zugleich das Thema seiner Habilitationsschrift gefunden, die 1969 unter dem Titel „Der Dramatiker Peter Weiss“ angenommen und gedruckt wurde. Gedruckt, aber zunächst nicht ausgeliefert. Peter Weiss hatte sich 1969 mit Trotzki im Exil bei der Politikerkaste der SED unbeliebt gemacht, was seinerzeit auch Folgen für die Verbreitung des wissenschaftlichen Schrifttums über Weiss hatte. Das behinderte die Wirkung der genannten Habilitationsschrift, die Gunilla Palmstierna-Weiss noch 40 Jahre später für „das Beste, was je über Peter als Dramatiker geschrieben wurde“, bezeichnete. Erst 1973 wurde das Buch ausgeliefert. 1977 erschien eine zweite, erweiterte und überarbeitete Auflage, die dann aber ein Vademecum junger Weiss-Forscher wurde.
Haiduk hatte 1968 die Hochschule aus Frustration über die sogenannte Dritte Hochschulreform verlassen. Die Bildungspolitiker der DDR wollten damit die „Verbindung von Theorie und Praxis“ befördern, was im Klartext hieß: die Autonomie der Hochschulen einschränken und ihre Arbeit stärker an die ökonomische Verwertbarkeit binden, was in mancherlei Hinsicht an gegenwärtige Hochschulreformen erinnert. Viele Wissenschaftler in der DDR hielten damals diese Reform für wissenschaftsfremd und erkenntnisbehindernd, so auch Haiduk, der das Angebot nutzte, auf den Posten des Direktors des Ostseestudios des Deutschen Fernsehfunks zu wechseln. Doch als eingefleischter Forscher und Lehrer kehrte er nach vier Jahren an die Universität zurück, diesmal als Professor für Kulturtheorie und Ästhetik.
Dem Werk von Peter Weiss und dem Theater blieb Haiduk treu. Bei der Inszenierung des Hölderlin 1973 gab es Spannungen mit Perten, so dass sich Haiduk zu Gunsten des Rostocker Kollegen Hans Joachim Bernhard aus der Theaterarbeit vorübergehend zurückzog; doch beim „Prozeß“ 1978 war er wieder mit dabei. Zugleich gab Haiduk verschiedene Editionen von Weiss-Texten heraus: „Stücke“ (1977), Der Prozeß und die „Strindberg-Übersetzungen“ sowie ausgewählte „Schriften zu Kunst und Literatur“ (1979).
Vor allem aber begleitete er intensiv die Entstehung der Ästhetik des Widerstands. Dies verdankte sich vor allem der Tatsache, dass aus der Bekanntschaft mit Weiss eine Freundschaft geworden war. Der 2010 publizierte Briefwechsel zwischen Haiduk und Weiss dokumentiert das eindrucksvoll. Trotz des vertraulichen Umgangs zwischen beiden spielte in ihren Briefen und Diskussionen „Privates“ kaum eine Rolle. Zwar eröffnete Haiduk den Briefwechsel 1965 mit einem Glückwunsch zu Weiss’ Geburtstag, doch erst 1977 verriet er aus sachlichen Gründen (es ging um das Visum für eine Reise nach Schweden) dem Freund in Stockholm sein eigenes Geburtsdatum. So ist dieser Briefwechsel nicht zuletzt ein Arbeitsjournal, das die Notizbücher wesentlich ergänzt. Im März und April 1982 trafen sich Haiduk und Weiss bei der Premiere des Neuen Prozesses und zur Vorbereitung der Berliner Ausgabe der Ästhetik des Widerstands die letzten Male in Stockholm und Berlin. Für die Weiss-Forschung erwarb sich Haiduk unschätzbare Verdienste, weil es ihm gelungen war, die Publikation der Ästhetik in der DDR durchzusetzen, und zwar in der „Fassung letzter Hand“, die viele Eingriffe des Lektorats in der Suhrkamp-Ausgabe korrigierte.
Das Erscheinen der von Weiss so sehr ersehnten ostdeutschen Ausgabe 1983 sowie in zweiter Auflage 1987 erlebte Weiss freilich nicht mehr. Auch nicht, dass es dann noch einmal rund 30 Jahre dauerte, bis dieser Text 2016 zur Grundlage der neuen Berliner Ausgabe und aller künftigen Forschungen wurde. Auch nach seiner Emeritierung 1989 blieb Haiduk für Peter Weiss-Forscher ein wichtiger und hilfreicher Ansprechpartner. Seine Weiss-Sammlung steht seit 2002 der Öffentlichkeit im Archiv der Berliner Akademie der Künste zur Verfügung. Seit rund zwanzig Jahren ist er Ehrenmitglied der Internationalen Peter Weiss-Gesellschaft, die ihm heuer zu seinem 90. Geburtstag herzlich gratuliert. Am Ende des Grußes zu seinem 80. Geburtstag hieß es: Wir hoffen, noch lange im Gespräch mit Manfred Haiduk bleiben zu können, dem nicht nur Peter Weiss manche wichtige Einsicht verdankte, sondern der seinerseits nicht müde wird, uns diesen Autor zu empfehlen als „Seismographen und Wahrheitssucher“, der uns erlaube, „eigene Erfahrungen auf das Werk zu beziehen und neue Antworten auf bedrängende Fragen in einer sich verändernden Welt zu suchen und zu finden“, auch wenn es „schwierig geworden“ sei, „in diesen Zeiten festzuhalten“ an der „Arbeitshypothese Optimismus“. – Im Namen der IPWG wünsche ich alles Gute.
Arnd Beise
Literaturhinweise
Eine Bibliographie der „Veröffentlichungen von Manfred Haiduk zu Peter Weiss“ und drei Texte aus der Sammlung Manfred Haiduk im PWA sind enthalten in dem Briefwechsel, 2010, S. 249–285.
Peter Weiss’ Drama Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats.... In: Weimarer Beiträge 12 (1966), H. 1, S. 81–104; H. 2, S. 186–209.
Der Dramatiker Peter Weiss. Berlin: Henschel 1969; 2., erweiterte und überarbeitete Auflage 1977.
Zur Brechtrezeption im dramatischen Werk von Peter Weiss. In: Német Filológiai Tanulmányok 9 (1975), S. 27–41.
Peter Weiss und der Film. In: Prisma. Kino- und Fernsehalmanach. Hg. von Horst Knietzsch. Bd. 7. Berlin 1976, S. 199–216.
Peter Weiss. In: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. von Hans-Günther Thalheim u.a. Bd. 11: Literatur der DDR. Berlin: Volk und Wissen 1976. S. 648-651.
Summa. Zur Stellung der Ästhetik des Widerstands im Werk von Peter Weiss. In: Die Ästhetik des Widerstands lesen. Hg. von Karl-Heinz Götze / Klaus R. Scherpe. Berlin: Argument 1981, S. 41–56; wieder in: Peter Weiss. Hg. von Rainer Gerlach. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1984, S. 307-322.
Peter Weiss. In: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. von Hans-Günther Thalheim u.a. Bd. 12: Literatur der BRD. Berlin: Volk und Wissen 1983, S. 362–368.
Dokument oder Fiktion. Zur autobiographischen Grundlage in Peter Weiss’ Romantrilogie Die Ästhetik des Widerstands. In: Die Ästhetik des Widerstands. Hg. von Alexander Stephan. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, S. 59-78.
Faschismuskritik als Imperialismuskritik im Werk von Peter Weiss. In: Antifaschismus in deutscher und skandinavischer Literatur. Akten eines Literatursymposiums der DDR und Dänemarks. Hg. von Jens Peter Lund Nielsen. Aarhus: Arkona 1983, S. 131–140.
Identifikation und Distanz. Aspekte der Kafka-Rezeption bei Peter Weiss. In: Weimarer Beiträge 30 (1984), H. 6, S. 916–925.
Peter Weiss’ Drama in zwei Akten Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats… In: Werkinterpretationen zur deutschen Literatur. Hg. von Horst Hartmann. Berlin: Volk und Welt 1986, S. 210–221.
Der dritte Band. Kompilation zur Editionsgeschichte des dritten Bandes der Ästhetik des Widerstands. In: Ästhetik Revolte Widerstand. Zum literarischen Werk von Peter Weiss. Hg. von Jürgen Garbers u.a. Jena/Lüneburg: Zu Klampen 1990, S. 294–310.
Vom Turm zum Neuen Prozeß. In: Peter Weiss. Leben und Werk. Hg. von Gunilla Palmstierna-Weiss / Jürgen Schutte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 174–193.
Hoffnung einer „Vierten Welt?“. In: Widerstand wahrnehmen. Dokumente eines Dialogs mit Peter Weiss. Hg. von Jens-F. Dwars u.a. Köln: GNN 1993, S. 301–304.
Probleme der Peter-Weiss-Forschung in der DDR. In: Zur Geschichte wissenschaftlicher Arbeit im Norden der DDR 1945–1990. Hg. von Martin Guntau u.a. Rostock: RLS 2007, S. 131–136.
Zeitzeugenbericht [und] Die Ehrenpromotion, die nicht stattfand. In: Die Universität Rostock zwischen Sozialismus und Hochschulerneuerung. Hg. von Kersten Krüger. Bd. 3. Rostock: Universität 2009, S. 178–211.
Zur Biographie von Peter Weiss. Drei Miszellen. In: Peter Weiss Jahrbuch 25 (2016), S. 73–94.
Peter Weiss: Stücke. Berlin: Henschel 1977.
Peter Weiss: Aufsätze Journale Arbeitspunkte. Schriften zu Kunst und Literatur. Hg. von Manfred Haiduk. Berlin: Henschel 1979.
Peter Weiss: Der Prozeß (nach Kafka). Strindberg-Übersetzungen: Fräulein Julie, Traumspiel, Der Vater. Hg. von Manfred Haiduk. Berlin: Henschel 1979.
Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Hg. von Manfred Haiduk. 3 Bde. Berlin: Henschel 1983; 2. Aufl. 1987.
Peter Weiss / Manfred Haiduk: Diesseits und jenseits der Grenze. Der Briefwechsel 1965–1982. Hg. von Rainer Gerlach und Jürgen Schutte. St. Ingbert: Röhrig 2010.
Wolfgang Trampe: Veränderung der höheren Semester. Roman. Berlin/Weimar: Aufbau 1982; 2. Aufl. 1986.
Dieter Nerius: Laudatio für Prof. Dr. sc. Phil. Manfred Haiduk. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 38 (1989), H. 10, S. 4–5.
Rainer Koch / Martin Rector: Arbeitshypothese Optimismus: Gespräch mit Manfred Haiduk über Peter Weiss. In: Peter Weiss Jahrbuch 3 (1994), S. 42–75.
Wolfgang Grahl: Was macht eigentlich… Prof. Manfred Haiduk? In: Norddeutsche neueste Nachrichten 56 (2001), Nr. 150, S. 21.
Arnd Beise: „Dr. Halbachs Methode“. Manfred Haiduk zum achtzigsten Geburtstag. In: Notizblätter. Mitteilungen der Internationalen Peter Weiss-Gesellschaft, Nr. 29, Februar 2009, S. 1–2.
Arnd Beise: Kunst und Wissenschaft im Dialog: Die Universität im Theater. Peter Weiss, Manfred Haiduk und das Volkstheater unter Hanns Anselm Perten. In: Positionen der Germanistik in der DDR. Personen – Forschungsfelder – Organisationsformen. Hg. von Jan Cölln / Franz-Josef Holznagel. Berlin/New York: De Gruyter 2013, S. 120–140.
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„Der Schatten des Körpers des Kutschers“ auf BR 2
Am Freitag, 22. März 2019, sendete Bayern 2 von 21:05 bis 22:30 Uhr in der Reihe hör!spiel!art.mix eine Hörfunkadaption von Peter Weiss‘ 1952 entstandenem Prosastück „Der Schatten des Körpers des Kutschers“. Mit Jochen Noch, Tobias Lelle, Paul Herwig, Volker Bruch und Nico Holonics; Komposition: zeitblom; Bearbeitung und Regie: Michael Farin; BR 2010.
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Bedingungslos im Engagement für interkulturelle Aufklärung und Reflexion. Laudatio auf Rüdiger Sareika
Die Internationale Peter Weiss-Gesellschaft (IPWG) gratuliert ihrem Vorstandsmitglied Dr. Rüdiger Sareika zu seinem 70. Geburtstag am 19. Februar 2019!
Rüdiger Sareika hat nach einem Studium der Literaturwissenschaft in Saarbrücken im Jahre 1980 eine bahnbrechende Dissertation zum Thema „Die Dritte Welt in der westdeutschen Literatur der sechziger Jahre“ verfasst. Seit 1982 war Rüdiger Sareika Studienleiter an der Evangelischen Akademie Villigst und er hat neben zahlreichen Veranstaltungen zu Peter Weiss und allgemein zu politisch-literarischen Themen den Bereich „Interkultur“ aufgebaut, in dem die Bedeutung interkultureller Fragestellungen im Kontext von Literatur, Politik und Religion schon früh bearbeitet wurde.
Zwischen 1982 und 2014 hat Rüdiger Sareika eine große Anzahl von Tagungen durchgeführt, von denen unter anderem folgende aufgeführt seien:
- 31 Tagungen zur Literatur allgemein,
- 14 Lyrik-Tagungen zu Himmelfahrt,
- 31 Tagungen im Bereich Weltliteratur,
- 20 Leseseminare „Ästhetik und Widerstand“ im Anschluss an Peter Weiss,
- 8 Veranstaltungen zur Literatur Osteuropas,
- 8 Tagungen zum Thema „Krimi“ in Kooperation mit Jochen Vogt,
- 20 Veranstaltungen des Forums Kirche und Kultur,
- von 1998 bis 2010 Lesungen und Diskussionsforen bei der Leipziger Buchmesse: „Ästhetik und Widerstand“.
Die dürren Zahlen beschreiben ein Lebenswerk, eine Leistungsbilanz und ein kontinuierliches Engagement für eine Literatur, die selbst gesellschaftlich engagiert ist.
Zwei Schwerpunkte sind zu erkennen:
- Literatur und Interkulturalität mit einem besonderen Akzent auf der Begegnung mit außereuropäischen Kulturen,
- die Perspektive „Ästhetik und Widerstand“, mit der im Sinne von Peter Weiss darauf verwiesen wird, dass Kultur, Kunst und Literatur sich gegen Unterdrückung, ungerechte Herrschaft und - ganz aktuell - gegen die Herrschaft von ökonomischen Denken, gegen eine nur den Banken und den Finanzunternehmen dienenden Globalisierung zur Wehr setzt.
Der Themenbereich „Ästhetik und Widerstand“ gewann Impulse für kulturelle Arbeit aus Peter Weiss’ großem Roman Die Ästhetik des Widerstands, in dem neben anderen Konzepten die Idee vertreten wird, dass die Unterdrückten sich die Texte der Hochkultur aneignen sollen, um sich auf den höchsten Stand der Kultur zu bringen. Auch wenn mit Walter Benjamin zu betonen ist, dass es kein Werk der Kultur gibt, das nicht auch ein Werk der Barbarei ist, dass also die Verschränkung von Kultur und Herrschaft immer mit zu reflektieren ist, so ist doch der Gedanke essentiell, dass die Aneignung aller Kulturgüter in einem kritischen Zugang die Basis für eine Kultur der Befreiung darstellt. Über Peter Weiss hinaus ist die Akademiearbeit Rüdiger Sareikas von der Überzeugung geprägt, dass eine zeitgemäße „Ästhetik des Widerstands“ jede Form des Eurozentrismus überwinden und sich ohne Vorbedingungen den außereuropäischen Kulturen öffnen muss – nicht unkritisch und devot, sondern auch bei diesem Zugang mit der Maxime, den Zusammenhang von Kultur und Barbarei zu reflektieren und die Spuren der Erfahrung der Beherrschten in den kulturellen Erzeugnissen zu erkennen.
In diesem Sinn zeigt sich, dass eine reflektierte, postkolonial belehrte Interkulturalität in gewisser Weise das Erbe einer widerständigen Ästhetik angetreten hat. Die Akademiearbeit Rüdiger Sareikas zeigt, dass genau dies das kulturelle Projekt unserer Tage sein könnte: die Reflexion darauf,
- dass Kultur und Literatur dadurch das Erbe einer widerständigen Ästhetik wachhalten;
- dass sie sich mit den Praktiken und Einsichten fremder Kulturen befassen;
- dass sie sich den Ideen einer homogenen „Leitkultur“ widersetzen und die Impulse, die sich aus den Kulturen der Migrantinnen und Migranten ergeben, aufnehmen und als selbstverständlichen Bestandteil unserer eigenen Kultur akzeptieren.
Schon in Rüdiger Sareikas Dissertation finden sich viele zukunftsweisende Perspektiven, die mit einer hellsichtigen Kritik an problematischen Aspekten des Engagements für die „Dritte Welt“ verbunden sind. Rüdiger Sareika stellte so bereits 1980 fest: Die Länder der „Dritten Welt“ wurden von ihren europäischen „Freunden „nicht aus sich selbst heraus betrachtet, sondern zu einem problematischen „Welt-Modell“ erklärt. Bei den „Modellen“ für die außereuropäischen Kulturen fehlte die eigene Erfahrung; Erwartungen wurden auf das Fremde projiziert. Die Dokumentarliteratur verharrte tendenziell bei einem Objektivismus und Positivismus der Quellen; sie unterwarf sich der scheinbaren Einsinnigkeit der Dokumente und gelangte nicht zu einer differenzierten Analyse der Wirklichkeit.
Die Autoren projizierten eigene Erwartungen in die außereuropäischen Länder (vermeintlich ideale Kongruenz von politischer und poetischer Aktivität in Vietnam).
Es fand sich eine sehr klischeehafte Darstellung außereuropäischer Kulturen (so etwa in dem Lied „Fiesta Peruana“ des verdienstvollen Franz Josef Degenhardt).
Als ein heute noch verdienstvoller Beitrag der antiimperialistischen Ideologiekritik erscheint die Kritik an konventionellen Darstellungsmustern der Medien in Bezug auf außereuropäische Kulturen. Hans-Magnus Enzensberger forderte eine Öffnung der Literaten und Intellektuellen gegenüber den audiovisuellen Medien, um sich den Produkten der Kulturindustrie zu widersetzen.
Problematisch erscheint aus heutiger Sicht eine eigenartige Faszination durch die revolutionäre Gewalt; es zeigt sich eine Blindheit gegenüber dem Problem der Fortdauer von Gewaltstrukturen in den Ländern der „Dritten Welt“ nach der Befreiung. Man erkennt aus heutiger Sicht die verzerrte Rezeption Frantz Fanons, der Gewalt in konkreten Situationen postulierte. Voluntarismus und regressive Bewunderung der Gewalt kennzeichnete die Sympathie vieler antiimperialistischer Linker: In der „Dritten Welt“ lösten sich Probleme scheinbar auf einfache Art; vermeintlich geringere Komplexität wurde als Vorteil gegenüber der eigenen Situation gesehen. Es erfolgte keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Herrschaftsformen in der Geschichte; stattdessen gab es eine Identifizierung von Herrschaft in den Industrieländern und in den Ländern der sog. Dritten Welt.
Analogien von Kritik und Entwicklungshilfe
So lassen sich in der Retrospektive überraschende Parallelen zwischen der linken Kritik und der „offiziellen“ Entwicklungshilfe erkennen: Eigene Bedürfnisse prägen unreflektiert die Zuwendung zur fremden Kultur. Von dieser Ausgangsposition aus und angeregt von den kirchlichen Solidaritätsbewegungen, aber auch von den kulturwissenschaftlichen Reflexionen der postcolonial studies, hat Rüdiger Sareika dazu beigetragen, die Themenbereiche „Interkulturalität“, „Solidarität mit außereuropäischen Kulturen“ und „Ästhetik des Widerstands“ in neuen Synthesen weiterzuentwickeln. Dabei haben in den letzten Jahren Positionen an Einfluss gewonnen, die auch die religiösen und spirituellen Anliegen der außereuropäischen Kulturen ernst nehmen. So ist ein religiöser Bezug der Kulturarbeit entwickelt worden, der analog zu christlichen Befreiungstheologien kulturelle Selbstbestimmung und Respekt vor religiösen Traditionen verbindet.
Rüdiger Sareika hat sich lange Jahre im Vorstand der IPWG engagiert. Er hat mit seinen Aktivitäten in der Evangelischen Akademie Villigst Impulse für deren Arbeit geliefert und immer wieder die Akademie in Iserlohn (Haus Ortlohn) und Villigst als Orte für inspirierende Tagungen zur Verfügung gestellt. Mit seinen Ratschlägen und Anregungen hat er die Aktivitäten der Gesellschaft vorbildlich unterstützt. Die IPWG dankt Rüdiger Sareika für seine jahrzehntelange Arbeit, freut sich auf seine weiteren Anregungen und Interventionen und wünscht ihm für die kommenden Jahre Engagement, das Spaß macht, und Entspannung, die als Entsprechung eines oft hektischen und anstrengenden Arbeitslebens mehr als angemessen erscheint – und noch viele gute Jahre mit seiner Frau Irene.
Michael Hofmann
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45 Weiss-Bilder in Stockholm veräußert
Gunilla Palmstierna-Weiss hat Ende Januar 2019 eine umfangreiche Sammlung von Peter Weiss-Bildern veräußert. Die Auktion bei dem renommierten schwedischen Auktionshaus Bukowskis umfasste 49 Kunstwerke von den frühesten Ölgemälden Mitte der 1930er bis Ende der 1950er Jahre. Palmstierna-Weiss teilte mit, dass die bei dieser Auktion erzielten Einnahmen es ihr ermöglichen sollen, die wenigen Weiss-Kunstwerke zurückzukaufen, die seit dem Diebstahl des größten Teils des bildkünstlerischen Nachlasses von Peter Weiss bei einem Einbruch in einem Stockholmer Lager im Jahr 2008 wieder aufgetaucht seien.
In Zusammenhang mit der Auktion gab Palmstierna-Weiss im Januar 2019 an, dass der Verkauf der Bilder zugleich maßgeblich dazu beitrage, dass sich ein breiteres Publikum mit den Kunstwerken von Peter Weiss, die nun von einigen der bekanntesten schwedischen und internationalen Museen erworben worden seien, vertraut machen könne. Die Werke hätten einen historischen Wert sowohl für Institutionen als auch für Sammler, da Peter Weiss als Künstler und Autor national und international geschätzt wurde, sagte Palmstierna-Weiss. Nur auf vier Werke wurde kein Zuschlag erteilt. Die Auktion erzielte einen sechsstelligen Euro-Betrag.
Nähere Informationen
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„Hotel Auschwitz“
Von den Erlebnissen einer Bildungsfahrt nach Polen erzählt Regisseur Cornelius Schwalm in seiner Komödie „Hotel Auschwitz“. Der Film berichtet von einer deutschen Theatergruppe, die eigentlich an einer Inszenierung des Stücks Die Ermittlung von Peter Weiss arbeitet. Zu Recherchezwecken hat die Gruppe eine Exkursion an den Erinnerungsort der nationalsozialistischen Judenvernichtung angesetzt.
Nähere Informationen
- neues deutschland, 17. Januar 2019
- Der Tagesspiegel, 18. Januar 2019
- Welt, 19. Januar 2019
- Zitty, o. D.
- Jüdische Allgemeine, 28. März 2019
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Ausstellung „Die einzig revolutionäre Kraft. Kunst und Revolution 1918 und 1968“
Zur Finissage der Ausstellung „Die einzig revolutionäre Kraft. Kunst und Revolution 1918 und 1968“ am 13. Januar 2019 um 15 Uhr lädt ABG-Net.de zu einer letzten Führung durch die Ausstellung in das Lindenau-Museum Altenburg ein. Daran wird sich ein Gespräch mit der Germanistin Dr. Christa Grimm über den Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss anschließen, der in der Ausstellung auf besondere Weise präsentiert wird. Aufgrund der positiven Publikumsresonanz wird die Ausstellung zudem eine Woche bis zum 20. Januar 2019 länger gezeigt.
Nähere Informationen sowie hier
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Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Lesenächte der Fachschaft AVL München
Peter Weiss und insbesondere sein dreibändiger Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ sind am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) der Universität München im vergangenen Jahr zum Gegenstand von Seminaren, Tagungen, wissenschaftlichen Arbeiten und privaten Lektüren geworden. Diese Entwicklung möchte die Fachschaft AVL zum Anlass nehmen, um die „Ästhetik des Widerstands“ in zwei Lesenächten zu lesen. Zu diesen lädt die Fachschaft Interessierte als Zuhörende ebenso wie als Lesende am 11. und 12. Januar 2019 ab 20 Uhr (am Freitag) und ab 19 Uhr (am Samstag) in R U104B ein. Die Fachschaft wird sich in den beiden Nächten dem 1. Band der „Ästhetik des Widerstands“ widmen (und die Lektüre der anderen Bände dann in Folgeformaten fortsetzen).
Lesen werden neben Studierenden und Lehrenden auch Gäste aus Chemnitz. Noch ist jedoch die Leseliste nicht gefüllt und die Fachschaft sucht weiterhin zahlreiche LeserInnen. Interessierte sind herzlich dazu einladen, sich in folgender Leseliste einzutragen. Weil die Textblöcke der ÄdW sehr umfangreich teilweise anspruchsvoll zu lesen sind, können sich auch gerne zwei Personen pro Abschnitt eintragen und das Buch bei Erschöpfungserscheinungen dann weitergeben.
Die Fachschaft freut sich sehr auf zwei spannende Lesenächte zu Beginn des neuen Jahres und auf eine intensive Beteiligung.